EGMR: Klimaschutz ist Menschenrecht - Schweiz

Menschenrechtsgerichtshof: Klimaschutz ist Menschenrecht

Klimaschutz ist Menschenrecht[10.04.2024] Die KlimaSeniorinnen in der Schweiz und andere hatten Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) eingereicht. Schon, dass es vor ca. einem Jahr eine Anhörung gab, zeigte, welche große Bedeutung das Gericht der Klage eingeräumt hat. Die Seniorinnen sehen die unzureichende Klimapolitik der Schweiz als Verletzung ihrer Menschenrechte. Besonders ältere Frauen leiden unter den Auswirkungen des Klimawandels. Die zunehmenden Hitzewellen können lebensbedrohlich sein. Die Klägerinnen strebten an, dass die Schweiz verpflichtet wird, ihre Klimaschutzmaßnahmen zu verstärken, um Leben, Familie und Gesundheit zu schützen und eine Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 °C zu erreichen. Ebenfalls wurden konkrete generelle Maßnahmen zur Behebung dieser Menschenrechtsverletzungen vom Gericht gefordert.

Am 09. April 2024 hat der EGMR entschieden und beschieden: Klimaschutz ist Menschenrecht! Damit wurde erstmals ein Land wegen unzureichendem Klimaschutz verurteilt. Das Urteil könnte große Auswirkungen haben - auch für Deutschland.

"Das Gericht stellte fest, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft ihren Pflichten aus dem Übereinkommen zum Klimawandel nicht nachgekommen war. Es gab kritische Lücken im Prozess der Einführung des relevanten nationalen Regulierungsrahmens, einschließlich des Versäumnisses der Schweizer Behörden, die nationalen Treibhausgasemissionsbeschränkungen durch ein CO2-Budget oder auf andere Weise zu quantifizieren. Auch hat die Schweiz ihre bisherigen Ziele zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen nicht erreicht. Der Gerichtshof erkannte zwar an, dass die nationalen Behörden bei der Umsetzung von Gesetzen und Maßnahmen über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, kam jedoch auf der Grundlage des ihm vorliegenden Materials zu dem Schluss, dass die Schweizer Behörden bei der Ausarbeitung, Entwicklung und Umsetzung nicht rechtzeitig und angemessen relevante Gesetze und Maßnahmen erlassen haben."

Aus der Pressemitteilung des EGMR

Die Klimakrise ist eine Menschenrechtskrise, und die Staaten haben die Menschenrechtsverpflichtung, dringend und wirksam und im Einklang mit den besten verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnissen zu handeln, um weitere Verwüstungen und Schäden für Menschen und Umwelt zu verhindern.

Eine Klage von 6 portugiesischen Jugendlichen gegen 32 Staaten wurde abgelehnt, weil sie nicht zunächst vor den nationalen Gerichten der 32 Staaten versucht hatten ihre Rechte durchzusetzen.

Die Klage eines Franzosen gegen Frankreich wurde abgelehnt, u.a. weil er nicht mehr in Frankreich lebt.

Weiterhin sind beim EGMR Klimaklagen aus Deutschland, Großbritannien, Italien, Norwegen, Österreich und Spanien anhängig.

 

Stimmen zur Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshof

DUH: Der Erfolg der Schweizer Klimaseniorinnen ist ein wegweisender Durchbruch für den Klimaschutz und zeigt, dass auch unsere im Oktober 2022 beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingereichte Klage gegen die Bundesregierung Aussicht auf Erfolg hat. Denn nach wie vor gefährdet das ungenügende Klimaschutzgesetz die Freiheit und Lebensgrundlagen der jungen Beschwerdeführenden und zukünftiger Generationen. Zwar beteuert die Bundesregierung, Deutschland auf einen 1,5-Grad-Pfad bringen zu wollen, neueste Untersuchungen des Sachverständigenrats für Umweltfragen belegen allerdings, dass das 1,5-Grad-Budget für Deutschland bereits aufgebraucht ist. Das ist nicht akzeptabel und widerspricht den Menschenrechten. Anstatt wie von den Ampelparteien geplant, sollte das bestehende Klimaschutzgesetz nicht entkernt, sondern umgekehrt konsequent umgesetzt und die Zielvorgaben verschärft werden."
DUH: Bundesregierung missachtet mit seinem ungenügenden Klimaschutz Menschenrechte

 

DLF: Wenn das Klima Menschenfeindlich ist, lässt sich vieles aus der Menschenrechtskonvention nicht mehr garantieren. Wenn gerade Ältere wegen der Hitze um ihr Leben fürchten müssen, wird das Recht auf Leben - ein zentraler Artikel in der Menschenrechtskonvention - wertlos. Damit ist es nicht nur Sache der Regierungen politisch für mehr Klimaschutz zu sorgen, das Recht ist einklagbar. Die Gerichte sind mit im Spiel. Die Regierungen müssen damit rechnen, dass sie kontrolliert werden. … Es swird nicht lange dauern, bis Klimaaktivisten aus den anderen 46 Mitgliedsstaaten beim Menschenrechtsgerichtshof vorstellig werden. Es kommt also einige in Bewegung. … Gut möglich, dass kommende Generation dem Menschenrechtsgerichtshof noch richtig Dankbar sein werden.
DLF: Kommentar zum Klima-Urteil des EGMR: Klimaschutz ist Menschenrecht

 

SZ: "In diesem Zusammenhang ist es die Hauptpflicht der Vertragsstaaten, Vorschriften zu verabschieden und Maßnahmen in der Praxis zu ergreifen, die dazu geeignet sind, die gegenwärtigen und möglicherweise irreversiblen künftigen Effekte des Klimawandels zu begrenzen"

Und das Gericht geht noch einen Schritt weiter. Es ruft die Zentralinstitutionen im Kampf gegen den Klimawandel auf, die UN-Rahmenkonvention zum Klimawandel, das Übereinkommen von Paris, den Weltklimarat - und verknüpft sie mit der Menschenrechtskonvention. "Eine wirksame Achtung dieser Rechte nötigt die Staaten, Maßnahmen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu unternehmen, mit dem Ziel einer Netto-Neutralität, und zwar innerhalb der nächsten drei Dekaden." Das Urteil fordert targets and timelines, Ziele und Zeitpläne. Man spürt, wie ernst dem Gericht die Angelegenheit ist, richterliche Zurückhaltung hin oder her.
SZ: Klimaklagen: Gemeinsam seid ihr stark

 

Luisa Neubauer: Wenn Regierungen Klimaschutz verschleppen, verletzen sie Menschenrechte. Eine Zäsur für einen europäischen Kontinent voller Staaten, die sich nicht an Klimaziele halten. Die Türen für weitere #Klimaklagen sind sperrangelweit auf.
Luisa Neubauer auf X

Luisa Neubauer: bei TikTok:

"... Mit diesem Urteil aus Straßburg also wurde jetzt die Tür sperrangelweit aufgestoßen, damit auch andere Klagen in diesem Zuge im Rahmen der Menschenrechte vorangehen können."

"Es gibt ein großes Aber. Es ist verlockend jetzt davon auszugehen, dass wir einfach unsere Probleme mit Klimablockaden aus der Politik wegklagen können. Es verlockend jetzt zu meinen: „Ah super, wir müssen jetzt kein Aktivismus mehr machen, weil wir klagen uns hier aus der Klimakrise raus“. So leicht geht das nicht. Denn zu einen, damit Klimaklagen durchgehen können braucht es unglaublich viel Arbeit und um ein ganz banales Beispiel zu nennen: wir in Deutschland haben ja auch schon mal klimageklagt und gewonnen. Das war nur möglich, weil andere Leute auch schon klimageklagt haben. Es war aber auch nur möglich, weil wir ganz viel Aktivismus, Bewegungsarbeit, normative Arbeit in der Gesellschaft drum rum gemacht haben. ..."

@luisamneubauer Deep dive Klimaklage. #reclaimtiktok #klimatok ♬ original sound - Luisa Neubauer

 

Interview mit Umweltanwältin Roda Verheyen in der Treibhauspost

Gibt es daneben noch etwas, das die aktuelle Entscheidung des EGMR so bahnbrechend macht?

Das Gericht hat ziemlich weitgehende, allgemeingültige Maßstäbe aufgestellt. Diese gehen weit über die Frage hinaus, ob im Fall der KlimaSeniorinnen eine Menschenrechtsverletzung vorliegt oder nicht. Besonders bei drei Punkten.

Der erste ist: Staaten verletzen ihre Schutzpflichten, wenn sie keinen angemessenen Klimaschutz betreiben. Sie müssen sich ein adäquates Klimaziel setzen und es mit einem schlüssigen Gesamtkonzept verfolgen. Es geht nicht nur – wie das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss von 2021 gesagt hat – um die Freiheitsrechte künftiger Generationen, irgendwann in der Zukunft, sondern um das Menschenrecht auf Leben und Gesundheit, und zwar heute.

Zweitens sagt das Gericht, dass die Klimaschutzkonzepte der Staaten schlüssig und quantifiziert sein müssen. Das heißt aus meiner Sicht nichts anderes, als dass sich jedes Land hinsetzen und ein CO2-Budget für sich ausrechnen muss.

Und der dritte Punkt?

Laut dem Urteil haben die Staaten wenig Ermessensspielraum bei der Festlegung der Klimaziele. Es wird ganz klar auf die 1,5-Grad-Grenze verwiesen. Die Staaten können nicht mehr willkürlich bestimmen, was sie wann erreichen wollen. Bei der Wahl der Mittel zur Zielerreichung haben sie zwar weiten Ermessensspielraum, aber auch hier müssen sie gewährleisten, dass ihr Gesamtkonzept tatsächlich den Reduktionspfad zu Null Emissionen sicherstellt.

Was bedeutet das zum Beispiel für Deutschland? Die Bundesregierung hat erst vor wenigen Tagen noch das Klimaschutzgesetz aufgeweicht (Öffnet in neuem Fenster).

Wir haben jetzt wirklich eine Lage, in der sich der deutsche Gesetzgeber gut überlegen muss, was er tut. Die Bundesregierung hat kurz nach der Urteilsverkündung gesagt, es gäbe keinen Bedarf, den aktuellen politischen Kurs zu ändern. Das halte ich für falsch.

Wenn man sich anschaut, was der Sachverständigenrat für Umweltfragen und der Klima-Expertenrat der Bundesregierung publizieren, dann sind wir ganz eindeutig nicht auf dem richtigen Pfad. Weder im Hinblick auf die Ziele im Klimaschutzgesetz und erst recht nicht im Hinblick auf das tatsächliche CO2-Budget für 1,5 Grad. Das ist für Deutschland nämlich schon aufgebraucht. Das heißt auch, dass noch einige weitere Klagen folgen werden.

Treibhauspost: Interview mit Umweltanwältin Roda Verheyen

 

DLF: Nationale Stimmen zur Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs

DLF: Internationale Stimmen zu der Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs.

 

 

Klimaschutz per Jura? Was kann ein Einzelner aus dem Klimaurteil machen?

 

Lawyers for Future zum Urteil des EuGMR bezüglich der Klage der Schweizer Klimaseniorinnen. 16.4.24

 

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